Hubertus Heil

Liebe Genossinnen und Genossen,

am 8. Oktober hat Kurt Beck in einem Interview eine bittere soziale Realität angesprochen: Viele Menschen drohen auf Dauer von sozialer Teilhabe ausgeschlossen zu bleiben: Es gibt eine neue Armut, die nicht nur eine Armut an Geld ist. Viele Menschen sind ausgeschlossen von Bildung, Ausbildung, Arbeit und den Chancen zu einem gesunden Leben. Wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten dürfen nicht zulassen, dass unsere Gesellschaft in drei Teile zerfällt: Wohlhabende, die alle Chancen an ihre Kinder vererben können, eine arbeitende Mitte, die den sozialen Abstieg fürchtet und eine Gruppe von Menschen, die keine Perspektive mehr für sozialen Aufstieg sieht und deshalb resigniert. Wir wollen eine solidarische Gesellschaft, die zusammenhält und in der sozialer Aufstieg möglich ist. Die von Kurt Beck begonnene Debatte wird durch eine Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung untermauert. Diese Diskussion trifft den Nerv unserer Zeit.

Wir führen die Debatte offen und zielbewusst. Denn wir wollen die Chancen, das Vertrauen und die Hoffnung auf sozialen Aufstieg in unserem Land erneuern. Wir wollen erreichen, dass sich Leistung nicht nur für wenige, sondern für alle Menschen lohnt, dass Herkunft nicht über die Zukunft der Kinder entscheidet, dass gute öffentliche Schulen gleiche Bildungschancen garantieren, dass jeder, der Vollzeit arbeitet, von seinem Einkommen auch leben kann.

Erinnern wir uns daran, dass es die SPD-geführte Bundesregierung war, die mit dem Armuts- und Reichtumsbericht dafür gesorgt hat, die soziale Lage in Deutschland offen zu legen. Wir waren es, die der statistisch versteckten Arbeitslosigkeit ein Ende gemacht haben, indem wir Arbeit suchende Sozialhilfeempfänger in die Vermittlung zurückgeholt haben.
Seit 1998 haben wir für mehr Bildungschancen durch Erhöhung der Mittel für Bildung gesorgt. Wir haben den Ausbau der Kinderbetreuung und der Ganztagsschulen ermöglicht. Wir haben die Vermittlung in Ausbildung und Arbeit verbessert. Durch eine wachstumsorientierte Wirtschaftspolitik haben wir viel dazu beigetragen, das die Konjunktur anzieht, wieder mehr sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze entstehen und die Steuereinnahmen steigen.

Dennoch ist unser Ziel noch nicht erreicht. Deshalb richten wir die Aufmerksamkeit erneut auf die Kinderarmut, auf die Herkunftsabhängigkeit der Bildung, auf Tendenzen im oberen Drittel der Gesellschaft, sich aus der Solidarität zu verabschieden. Wir haben massive Angriffe auf den Sozialstaat abzuwehren. Wir stehen für die finanzielle Handlungsfähigkeit von Bund, Ländern und Kommunen. Wir tun das, weil wir wissen, zur Lösung der neuen sozialen Fragen brauchen wir nicht weniger, sondern einen besseren Sozialstaat, der zielgenauer ist, mehr in die Vorsorge und die Entwicklung der Talente investiert. Die Qualität unseres Sozialstaats messen wir nicht an der Höhe des Sozialtransfers, sondern daran, ob er tatsächlich Menschen in Notlagen hilft und Lebens- und Aufstiegschancen eröffnet.

Wir arbeiten an Perspektiven einer lebenswerten und solidarischen Gesellschaft. Das prägt unsere Politik in der großen Koalition und bestimmt unsere Debatte um das neue Grundsatzprogramm.